Bei Lichte betrachtet ist Religion nichts anderes, als die mächtige Sehnsucht nach Geborgenheit und Trost. Es ist allzu verständlich, dass der Mensch, als ein Wesen, das über das Jetzt hinausdenkt, mit vielen existentiellen Fragen, aber insbesondere mit vielen existentiellen Ängsten konfrontiert wird. Die ultimative existentielle Angst vor dem Tod, dem völlig Unbekannten, dem Nichtmehrsein ist die Haupttriebfeder jeglicher Religiosität. Ein wie auch immer gearteter Glaube an die Unsterblichkeit ist das Hauptelement von Religion. Wer den Tod nicht wahrhaben will, bzw. nicht aushalten kann, dem bleibt nichts anderes übrig, als ein ewiges Leben zu erglauben, im Sinne von glauben gepaart mit dem schöpferischen Akt, der darin besteht, sich das Geglaubte selber auszudenken.
Den Tod als solchen zu akzeptieren, ist aber die einzige Möglichkeit, sich der Wertigkeit des "diesseitigen" Lebens, als dem einzigen umfassend bewusst zu werden. Bereits hier schlummert eine erste Gefahr. Der religiöse Mensch läuft zwangsläufig Gefahr, sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes zu vergeuden, weil er dessen Wertigkeit geradezu geringschätzen muss. Es gibt ja, so glaubt er, etwas Besseres, als das diesseitige Leben.
Eine weitere Gefahr, die jeder Religiosität innewohnt, ist die zwangsläufige Tendenz zum "Bekehren der Anderen". Es glaubt sich in der Gruppe einfacher und besser. Weil insbesondere, zumindest bis heute, jeglicher Nachweis eines Gottes, geschweige denn eines ewigen Lebens fehlt, muss, bzw. kann all das nur geglaubt werden. Und solcher Glaube muss gestärkt werden, und derlei Stärkung kann nur die Gruppe Gleichgesinnter leisten. Ich hege den Verdacht, dass alle religiösen Rituale hauptsächlich dazu dienen, sich gegenseitig den Glauben zu versichern. So versammeln sich z.B. die Christen jeden Sonntag in der Kirche, um sich gegenseitig ihren Glauben zu bezeugen.
Die Gefahr, die hiervon ausgeht, ist folgende. Je existentieller Glaube wird, je vehementer verlangt er nach Stärkung. Die ultimative Bekämpfung des Zweifels besteht darin, diesen, wenn erforderlich, mit Gewalt zu beseitigen. Genau das ist der Kern von jedem Gottesstaat. Ein Gottesstaat ist letztendlich nichts anderes, als landesweiter, alle Bürger einschließender, permanenter Gottesdienst. So wenig ein Christ seine Zweifel öffentlich während eines Gottesdienstes kundtun darf, bzw. überhaupt auf den Gedanken käme, dies zu tun, so wenig darf dies ein Bürger innerhalb eines Gottesstaates. Der Gottesstaat bietet dem Gläubigen die höchstmögliche Glaubensstärkung. Das Opium "Religion", wie Karl Marx es ausdrückte, kennzeichnet sich gegenüber dem herkömmlichen Opium durch eine wahrlich teuflische Besonderheit aus. Es wirkt nur in der Gruppe. So betrachtet ist der Gottesstaat nichts anderes, als ein Staatsgebilde, das allen die Droge "Religion" zwangsverordnet, damit diese Droge bei den "freiwilligen" Konsumenten besser wirken kann.
Und schlussendlich birgt diese Gier nach Geborgenheit eine weitere Gefahr: Die Bekämpfung allen irdischen Glücks. Je mühseliger, unbefriedigender und trauriger das Diesseits ist, umso vehementer verlangt der Gläubige nach etwas Besserem, nach Erlösung, nach dem jenseitigen Leben. Empfindet der Gläubige dagegen das Diesseits als gelungen, so besteht die "Gefahr", dass ihn das Jenseits, und die damit verbundene Gottheit bestenfalls am Rande interessieren. Er läuft Gefahr, vom Glauben abzufallen. Demzufolge verwundert es nicht, dass alle großen Religionen insbesondere der Sinnlichkeit gegenüber eine sehr zwiespältige, um nicht zu sagen extrem feindliche Haltung einnehmen. Denn Sinnlichkeit, am besten im Verbund mit Verliebtheit, ist das "Vergnügen" par Excellence, das sich sogar mittellose Menschen leisten können. Die Religionsvertreter vermuten nicht ganz zu Unrecht, dass Menschen, die ein Leben voller Sinnlichkeit, bzw. eine erfüllte Sinnlichkeit leben, schlechte "Abnehmer" ihrer "Frohen Botschaft" sein könnten. Das ist wohlmöglich der eigentliche Grund für die Homophobie und die Domestizierung der heterosexuellen Sinnlichkeit, sprich deren Monogamisierung und gar Reduzierung auf gewollte Zeugung, die alle großen Religionen propagieren.
Gerhard Schmitz, St.Vith.
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