Zu Teil 4
Stellen wir uns zwei geschwätzige Ameisen vor, die mit viel Mühe die Kuppelspitze der Basilika von Koekelberg in Brüssel zum wiederholten Male erklommen haben. Oben angekommen staunen beide wie immer über das Gewusel auf den Straßen. Sie können sich gar nicht satt daran sehen, wie diszipliniert sich all die Autos, Fahrradfahrer, Motorradfahrer, Züge, Straßenbahnen und Fußgänger verhalten. Nur selten stören sie einander in ihrem Bewegungsablauf. Was sich hinter den Glasfassaden und unterhalb des Straßenasphalts abspielt, brauchen sie erst gar nicht zu erahnen. Allein das was sie mit eigenen Augen sehen können, erscheint ihnen unermesslich kompliziert. Stellen wir uns nun weiter vor, dass die Ameisen, eben weil sie geschwätzig sind, von Erzählungen ihrer zig Generationen an Vorfahren her wissen, dass an gleicher Stelle vor etwa 1500 Jahren keineswegs Vergleichbares zu beobachten war. Möglicherweise standen damals an gleicher Stelle ausgedehnte Wälder. Wenn die Ameisen nun auf noch viel ältere Erinnerungen zurückgreifen, erzählen sie sich, dass doch früher die Menschen fast wie Affen aussahen, eben Urmenschen waren. Nun sitzen unsere beiden Ameisen dort auf der Kuppelspitze und schwelgen stundenlang in alten Erinnerungen. Sie erzählen vom Höhlenmenschen, von den ersten Ackerbauern, von zaghaften Fortschritten in der Technik, bis sie schlussendlich die Fertigstellung genau der Kathedrale, auf dessen Kuppel sie gerade hocken, zum x-ten Male bis ins Detail nacherzählen, weil einer ihrer nicht allzu ferner Urahnen diese selber miterlebte. Und jedes Mal, wenn sie quasi die Menschheitsgeschichte Revue passieren lassen, erscheint ihnen alles als eine logische Folge von ganz kleinen Schritten. Sie bewundern die Spezies Mensch dafür, dass sie ausgehend vom Menschenaffen, es bis zur Erschaffung dieses unbegreiflich komplexen Menschenhaufens, den man Brüssel nennt, gebracht haben. Sie, die Ameisen, haben es, wenn ich mich recht erinnere, in einem noch viel längeren Zeitraum nicht über den Ameisenhaufen hinaus gebracht. Als die beiden Ameisen spät abends zu ihrem Ameisenhaufen zurückkehren, stehen da zum hundertsten Male zwei Menschen davor und staunen. Es ist wie so oft der Vater, der seinem Sohn erklärt: „Schau' Dir das mal an. Ist das nicht ein Beweis dafür, wie wunderbar Gott alles geplant hat?“ Die Ameisen schütteln den Kopf. Sie finden Brüssel viel komplizierter und bestaunenswerter als ihren Ameisenhaufen. Sie haben keine Ahnung, wie Brüssel im Innersten funktioniert, aber eines wissen sie mit Sicherheit. Die Erschaffer von Brüssel sind Menschen, deren Vorfahren affenähnliche Tiere waren, und, weil die Ameisen die ganze Geschichte von den Anfängen an verfolgt und sich weiter erzählt haben, wissen sie, dass die Erschaffung von Brüssel keineswegs eines übernatürlichen Planers bedurfte. Die Ameisen kämen nie auf die Idee zu glauben, dass ein Höhlenmensch die Erschaffung von Brüssel im Sinn gehabt und entsprechend daraufhin gewirkt hätte. Die Ameisen sind keineswegs überrascht, dass es heute Brüssel gibt. Das einzige was sie überrascht und auch ein bisschen ärgert ist, dass die Menschen glauben, sie, die Ameisen, hätten es ohne das Zutun eines übernatürlichen Helfers niemals zu ihrem, im Vergleich zu Brüssel, doch eher bescheidenen Ameisenhaufen aus eigener Kraft gebracht.
Natürlich ist diese Geschichte Science-Fiction. Stimmt, Ameisen können nicht reden und sich über Generationen Geschichten erzählen (sind wir da so sicher?). Würden sie es aber doch können, wäre diese Geschichte mitnichten Science-Fiction. Es ist nun mal so, dass die Affenmenschen nicht im Traum daran dachten, Brüssel zu erschaffen, sie waren nicht einmal in der Lage, Brüssel zu denken. Und trotzdem haben ihre Nachfahren, ohne dass dies beabsichtigt war, Schritt für Schritt, erst die Rahmenbedingungen in Punkto Technik, und dann Brüssel selber Schritt für Schritt zu dem gemacht, was es heute ist.
Neben dieser allmählichen historischen Entwicklung, ausgehend von der Höhle, die vom Urmenschen in Beschlag genommen wurde, bis zur modernen ultrakomplexen Metropole, die, wie wir gesehen haben, keineswegs zwingend eines übernatürlichen Planers bedurfte, bedarf die pulsierende Großstadt auch keines übernatürlichen Verwalters. Man wird keinen einzigen Brüsseler finden, der den totalen Durchblick in Bezug auf das Funktionieren der Stadt hat. So wie die Erschaffung von Brüssel die Summe schier unendlich vieler kleiner Evolutionsschritte bedurfte, so ist das alltägliche Funktionieren der Großstadt die Summe schier unendlich vieler kleiner, von einzelnen Menschen wahrgenommener Funktiönchen. Der U-Bahnfahrer braucht sich nicht die geringsten Gedanken über die Verwaltungssoftware der Arzthelferin zu machen und umgekehrt. Schlimmer noch, es gibt keinen in Brüssel, der sich um das erfolgreiche Ineinandergreifen der beiden Funktionen kümmert oder kümmern müsste. Und trotzdem wird der Brüsseler nicht behaupten: "Schau' wie toll alles auf einander abgestimmt ist. Da muss es doch einen allmächtigen, allwissenden, allgütigen Verwalter geben!" Der Brüsseler begreift intuitiv, warum Brüssel funktioniert. Dass alle Funktiönchen so wunderbar ineinander greifen liegt daran, dass sie über Jahrhunderte sich so entwickelt haben. Der Bäcker hat gelernt, was zu tun ist, um Brötchen zu backen. Seine Zulieferer ebenso, seine Kunden haben gelernt, dass sie morgens 10 Minuten früher aufstehen müssen, wenn sie noch Brötchen kaufen müssen. Die U-Bahn-Verwaltung hat gelernt, dass um 8 Uhr morgens viele Menschen unterwegs sind, und haben deswegen die Taktzahl der Verbindungen für diese Uhrzeit höher angesetzt, als für 3 Uhr morgens. Eine Großstadt ist letztendlich ein stark dezentral und nicht zentral reguliertes Gebilde. Jeder erledigt seinen Job in gewissem Maße autonom. An den Schnittstellen der jeweiligen Aufgaben, z.B. Kunde beim Bäcker, arrangieren sich die jeweiligen Beteiligten, wobei sie sich einen Lernprozess seit Beginn der Evolution zu nutze machen. Der Kunde weiß z.B. dass er sich in der Schlange anstellen muss, wenn in der Bäckerei viel Betrieb ist. Das Schlangestehen hat sich ohne die Weisung eines allmächtigen Managers von ganz alleine als ein gute Lösung herauskristallisiert. Die Triebfeder, die die Bäckerkunden dazu gebracht hat, spontan eine Schlange zu bilden, ist nicht unbedingt die gegenseitige Zuneigung der Kunden, sondern ein kluger Egoismus. Der Kunde will letztendlich zu seinen Brötchen kommen und da ist eine allmorgendliche Schlägerei an der Bäckertheke offensichtlich wenig hilfreich.
So, wenn Sie jetzt das nächste Mal Brüssel im Landeanflug überfliegen, oder in einem der berühmten Brüsseler Restaurants einen Hummer (mit der Ameise artverwandt ?) genießen, werden Sie sich vielleicht an diese Geschichte erinnern.
Die Tatsache, dass nun der Affenmensch und seine Nachfahren es in knapp 30 Millionen Jahren schafften, Brüssel ohne zwingenden göttlichen Beistand quasi aus dem Nichts zu erschaffen, sollte uns ins Staunen über die Potenz der Evolution versetzen und uns dazu verleiten, nicht allzu schnell den lieben Gott zu bemühen, nur weil uns etwas auf den ersten Blick unmöglich erscheint.
Würde der obenerwähnte Vater seinem Sohn den Ameisenhaufen erklären, in dem er wie gesehen den Vergleich mit Brüssel heranzöge, anstatt gleich den lieben Gott ins Spiel zu bringen, wäre die Begeisterung des Sohnes nicht geringer, eher größer. Er würde ein Gefühl dafür bekommen, was Zeit und Veränderung, also Evolution bewirken können und würde vielleicht sogar die Ameisen mit ganz anderen, wahrscheinlich sogar freundlicheren Augen sehen als vorher.
„Weil es Brüssel gibt, muss es einen allmächtigen, allgütigen, allwissenden Designer geben, der die Erschaffung von Brüssel in die DNA der Vorfahren der Belgier eingepflanzt hat.“ Klingt doch irgendwie nicht mehr so überzeugend, oder? Denn wäre es den Vorfahren vorher bestimmt gewesen, Brüssel bis zum Jahre 2008 so zu erschaffen, wie wir es heute bewundern können, würden dann die anderen belgischen Großstädte wie Antwerpen oder Lüttich nicht genauso so aussehen wie Brüssel? Oder wurden etwa, der Annahme der Vorherbestimmung gemäß, den Vorfahren der Belgier, die an der Scheldemündung wohnten, wiederum eine andere DNA eingepflanzt, und den Vorfahren der Belgier am Zusammenfluss von Ourthe und Maas wiederum die Erschaffung von Lüttich einprogrammiert. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass dieser Prozess der Großstadterschaffung sich ständig mehr oder weniger den Gegebenheiten immer wieder anpasste. Antwerpen lag in Meeresnähe und entwickelte deswegen einen Großseehafen und sonstige, u.a. von Matrosen gern in Anspruch genommene Dienstleistungen. Lüttich wiederum, hatte andere Rahmenbedingungen und so weiter. Trotz aller Verschiedenartigkeit sind Brüssel, Antwerpen und Lüttich unverkennbar Großstädte, die grundsätzlich gleich funktionieren. Alle haben dicht zusammengedrängte Wohneinheiten, Produktionseinheiten, Verkehrs- und Versorgungsnetze aller Art. So kann man die Städte weltweit vergleichen. Keine gleicht der anderen wie ein Zwilling, und doch, sie gehören der gleichen Spezies an.
Ich will hier nicht missverstanden werden. Obwohl sich ein Vergleich zwischen der Entwicklung von komplexen lebenden Organismen, wie wir Menschen, und der Entwicklung von Großstädten aufdrängt, bedeuten die Ähnlichkeiten keineswegs, dass die treibenden Mechanismen der jeweiligen Entwicklungen vergleichbar wären. Bei der schrittweise Erschaffung von Städten trafen Menschen, also mehr oder weniger denkende Wesen, Milliarden kleine oder große Entscheidungen, die den Prozess in die eine oder andere Richtung lenkten. Bei den Lebewesen scheinen Gene, die man, so weit ich das überblicken kann, eigentlich nicht als denkende Einheiten betrachten kann, aus unterschiedlichen Optionen ausgewählt zu haben. Mir reicht es eigentlich, wenn mein Vergleich, der eher als Allegorie verstanden werden sollte, dem Leser ein Gefühl dafür vermittelt, wozu eben schrittweise Evolution fähig ist, wenn Milliarden "kleiner" Entscheidungsträger, von denen kein einziger die Gesamtplanung kennt noch für sich beansprucht, über einen kaum vorstellbar langen Zeitraum, immer wieder und immer wieder auf Reize, sprich externe Bedingungen und Anforderungen reagieren. Mehr erwarte ich nicht. Hätten die Vorfahren von obenerwähntem Vater über Jahrmillionen die allmähliche Erschaffung des Ameisenhaufens miterlebt und immer wieder den Nachkommen weitererzählt, würde der Vater gar nicht mehr auf die Idee kommen, Gott als "Schöpfer" dieses Ameisenhaufens zu bemühen, sondern würde den Hut vor der erstaunlichen Kreativität und Lernfähigkeit dieser kleinen Krabbeltiere ziehen.
Gerhard Schmitz, St.Vith.
Natürlich ist diese Geschichte Science-Fiction. Stimmt, Ameisen können nicht reden und sich über Generationen Geschichten erzählen (sind wir da so sicher?). Würden sie es aber doch können, wäre diese Geschichte mitnichten Science-Fiction. Es ist nun mal so, dass die Affenmenschen nicht im Traum daran dachten, Brüssel zu erschaffen, sie waren nicht einmal in der Lage, Brüssel zu denken. Und trotzdem haben ihre Nachfahren, ohne dass dies beabsichtigt war, Schritt für Schritt, erst die Rahmenbedingungen in Punkto Technik, und dann Brüssel selber Schritt für Schritt zu dem gemacht, was es heute ist.
Neben dieser allmählichen historischen Entwicklung, ausgehend von der Höhle, die vom Urmenschen in Beschlag genommen wurde, bis zur modernen ultrakomplexen Metropole, die, wie wir gesehen haben, keineswegs zwingend eines übernatürlichen Planers bedurfte, bedarf die pulsierende Großstadt auch keines übernatürlichen Verwalters. Man wird keinen einzigen Brüsseler finden, der den totalen Durchblick in Bezug auf das Funktionieren der Stadt hat. So wie die Erschaffung von Brüssel die Summe schier unendlich vieler kleiner Evolutionsschritte bedurfte, so ist das alltägliche Funktionieren der Großstadt die Summe schier unendlich vieler kleiner, von einzelnen Menschen wahrgenommener Funktiönchen. Der U-Bahnfahrer braucht sich nicht die geringsten Gedanken über die Verwaltungssoftware der Arzthelferin zu machen und umgekehrt. Schlimmer noch, es gibt keinen in Brüssel, der sich um das erfolgreiche Ineinandergreifen der beiden Funktionen kümmert oder kümmern müsste. Und trotzdem wird der Brüsseler nicht behaupten: "Schau' wie toll alles auf einander abgestimmt ist. Da muss es doch einen allmächtigen, allwissenden, allgütigen Verwalter geben!" Der Brüsseler begreift intuitiv, warum Brüssel funktioniert. Dass alle Funktiönchen so wunderbar ineinander greifen liegt daran, dass sie über Jahrhunderte sich so entwickelt haben. Der Bäcker hat gelernt, was zu tun ist, um Brötchen zu backen. Seine Zulieferer ebenso, seine Kunden haben gelernt, dass sie morgens 10 Minuten früher aufstehen müssen, wenn sie noch Brötchen kaufen müssen. Die U-Bahn-Verwaltung hat gelernt, dass um 8 Uhr morgens viele Menschen unterwegs sind, und haben deswegen die Taktzahl der Verbindungen für diese Uhrzeit höher angesetzt, als für 3 Uhr morgens. Eine Großstadt ist letztendlich ein stark dezentral und nicht zentral reguliertes Gebilde. Jeder erledigt seinen Job in gewissem Maße autonom. An den Schnittstellen der jeweiligen Aufgaben, z.B. Kunde beim Bäcker, arrangieren sich die jeweiligen Beteiligten, wobei sie sich einen Lernprozess seit Beginn der Evolution zu nutze machen. Der Kunde weiß z.B. dass er sich in der Schlange anstellen muss, wenn in der Bäckerei viel Betrieb ist. Das Schlangestehen hat sich ohne die Weisung eines allmächtigen Managers von ganz alleine als ein gute Lösung herauskristallisiert. Die Triebfeder, die die Bäckerkunden dazu gebracht hat, spontan eine Schlange zu bilden, ist nicht unbedingt die gegenseitige Zuneigung der Kunden, sondern ein kluger Egoismus. Der Kunde will letztendlich zu seinen Brötchen kommen und da ist eine allmorgendliche Schlägerei an der Bäckertheke offensichtlich wenig hilfreich.
So, wenn Sie jetzt das nächste Mal Brüssel im Landeanflug überfliegen, oder in einem der berühmten Brüsseler Restaurants einen Hummer (mit der Ameise artverwandt ?) genießen, werden Sie sich vielleicht an diese Geschichte erinnern.
Die Tatsache, dass nun der Affenmensch und seine Nachfahren es in knapp 30 Millionen Jahren schafften, Brüssel ohne zwingenden göttlichen Beistand quasi aus dem Nichts zu erschaffen, sollte uns ins Staunen über die Potenz der Evolution versetzen und uns dazu verleiten, nicht allzu schnell den lieben Gott zu bemühen, nur weil uns etwas auf den ersten Blick unmöglich erscheint.
Würde der obenerwähnte Vater seinem Sohn den Ameisenhaufen erklären, in dem er wie gesehen den Vergleich mit Brüssel heranzöge, anstatt gleich den lieben Gott ins Spiel zu bringen, wäre die Begeisterung des Sohnes nicht geringer, eher größer. Er würde ein Gefühl dafür bekommen, was Zeit und Veränderung, also Evolution bewirken können und würde vielleicht sogar die Ameisen mit ganz anderen, wahrscheinlich sogar freundlicheren Augen sehen als vorher.
„Weil es Brüssel gibt, muss es einen allmächtigen, allgütigen, allwissenden Designer geben, der die Erschaffung von Brüssel in die DNA der Vorfahren der Belgier eingepflanzt hat.“ Klingt doch irgendwie nicht mehr so überzeugend, oder? Denn wäre es den Vorfahren vorher bestimmt gewesen, Brüssel bis zum Jahre 2008 so zu erschaffen, wie wir es heute bewundern können, würden dann die anderen belgischen Großstädte wie Antwerpen oder Lüttich nicht genauso so aussehen wie Brüssel? Oder wurden etwa, der Annahme der Vorherbestimmung gemäß, den Vorfahren der Belgier, die an der Scheldemündung wohnten, wiederum eine andere DNA eingepflanzt, und den Vorfahren der Belgier am Zusammenfluss von Ourthe und Maas wiederum die Erschaffung von Lüttich einprogrammiert. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass dieser Prozess der Großstadterschaffung sich ständig mehr oder weniger den Gegebenheiten immer wieder anpasste. Antwerpen lag in Meeresnähe und entwickelte deswegen einen Großseehafen und sonstige, u.a. von Matrosen gern in Anspruch genommene Dienstleistungen. Lüttich wiederum, hatte andere Rahmenbedingungen und so weiter. Trotz aller Verschiedenartigkeit sind Brüssel, Antwerpen und Lüttich unverkennbar Großstädte, die grundsätzlich gleich funktionieren. Alle haben dicht zusammengedrängte Wohneinheiten, Produktionseinheiten, Verkehrs- und Versorgungsnetze aller Art. So kann man die Städte weltweit vergleichen. Keine gleicht der anderen wie ein Zwilling, und doch, sie gehören der gleichen Spezies an.
Ich will hier nicht missverstanden werden. Obwohl sich ein Vergleich zwischen der Entwicklung von komplexen lebenden Organismen, wie wir Menschen, und der Entwicklung von Großstädten aufdrängt, bedeuten die Ähnlichkeiten keineswegs, dass die treibenden Mechanismen der jeweiligen Entwicklungen vergleichbar wären. Bei der schrittweise Erschaffung von Städten trafen Menschen, also mehr oder weniger denkende Wesen, Milliarden kleine oder große Entscheidungen, die den Prozess in die eine oder andere Richtung lenkten. Bei den Lebewesen scheinen Gene, die man, so weit ich das überblicken kann, eigentlich nicht als denkende Einheiten betrachten kann, aus unterschiedlichen Optionen ausgewählt zu haben. Mir reicht es eigentlich, wenn mein Vergleich, der eher als Allegorie verstanden werden sollte, dem Leser ein Gefühl dafür vermittelt, wozu eben schrittweise Evolution fähig ist, wenn Milliarden "kleiner" Entscheidungsträger, von denen kein einziger die Gesamtplanung kennt noch für sich beansprucht, über einen kaum vorstellbar langen Zeitraum, immer wieder und immer wieder auf Reize, sprich externe Bedingungen und Anforderungen reagieren. Mehr erwarte ich nicht. Hätten die Vorfahren von obenerwähntem Vater über Jahrmillionen die allmähliche Erschaffung des Ameisenhaufens miterlebt und immer wieder den Nachkommen weitererzählt, würde der Vater gar nicht mehr auf die Idee kommen, Gott als "Schöpfer" dieses Ameisenhaufens zu bemühen, sondern würde den Hut vor der erstaunlichen Kreativität und Lernfähigkeit dieser kleinen Krabbeltiere ziehen.
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