Zu Teil 7
Ich versuche mir also, ungeachtet der bereits erwähnten Mahnung des Papstes Benedikt XVI. vorzustellen, wie der Himmel beschaffen sein müsste, damit ich ihn als erstrebenswert erachten würde. Ich vermute mal, dass die meisten Leser meiner Vorstellung auf den ersten Blick durchaus etwas abgewinnen können.
Die erste Bedingung wäre, dass ich die Seelen der Menschen, die ich geliebt habe und deren Tod ich beweinen musste, dort wiederträfe. Eigentlich mache ich bereits hier große Abstriche an meiner Idealvorstellung, weil ich mich mit den Seelen der Geliebten zufrieden gebe. Selbstverständlich möchte ich den ganzen geliebten Menschen wiedertreffen. In diesem Moment würde ich am liebsten mit dem Schreiben an diesem Buch aufhören, weil dieser Kompromiss schon im krassen Widerspruch zum Begriff Himmel steht. Denn die Mutter des gerade gestorbenen Kindes wird sich nie und nimmer damit zufrieden geben, nur die körperlose Seele ihres toten Kindes wiederzusehen. Ihr größter Wunsch wird sein, ihr ganzes Kind, mit Körper, lebendig in den Armen zu halten. In ihrem Falle wäre ein himmlischer Zustand wohl nur durch ein „Zurück in die Vergangenheit, wo ihr Kind noch lebte“ oder eine materielle Wiederbelebung des Körpers im Diesseits erreichbar. Nur, die Erfahrung lehrt uns leider, dass in derlei Fällen weder das Eine noch das Andere eintritt. Die Mutter wird, allen Hoffnungen auf ein göttliches Eingreifen zum Trotz, ihr totes Kind begraben müssen und somit zumindest der Wahrheit, dass der Körper des Kindes unwiederbringlich verwesen wird, ins Auge schauen müssen. Ich habe es selber zum Glück noch nicht erlebt, aber ich kenne Eltern, die diesen Supergau, den Tod des eigenen Kindes betrauern müssen, erlebt haben. Und da ich selber Kinder habe, kann ich mir es ein wenig vorstellen, was für ein Trümmerhaufen derlei Erleben hinterlassen muss. Wie gesagt, der versprochene Himmel sollte so sein, dass er sogar in diesem Falle Trost sein könnte. Und nur der Herrlichkeit Gottes mit den mehr als 5000 katholischen Heiligen huldigen, ist, und das kann ich wohl ohne Übertreibung sagen, ein wohl kaum messbarer Trost für diese Eltern. Trost, und somit eine der wichtigsten Anforderungen an den Himmel, kann in der Tat nur ein wie auch immer geartetes Wiedersehen mit demjenigen bzw. der Seele desjenigen sein, dessen Tod man bitterlich beweint hat.
Die zweite Bedingung wäre, dass diese Seelen, die ich im Himmel wieder antreffe, nicht unglücklich wären. Diese Seelen dürfen weder physische Schmerzen, insofern diese denkbar wären, noch psychische Schmerzen (Trauer, Angst) verspüren.
Die dritte Bedingung für den himmlischen Zustand wäre, dass ich selber weder physische Schmerzen, noch psychische Schmerzen verspürte. Ob dies jetzt im hellen Licht mit einem bärtigen Gott als Gesellschafter stattfindet ist zweitrangig.
Natürlich könnte der Himmel mir andere Annehmlichkeiten bieten, aber diese drei Bedingungen scheinen mir Grundvoraussetzungen zu sein, damit ich diesen Himmel als solchen betrachten könnte: 1. Wiedersehen mit den geliebten Menschen, 2. geliebte Menschen sind glücklich, 3. ich selber bin glücklich.
Bei diesem zugegebenermaßen groben Entwurf tritt ein Begriff wohl unbemerkt sehr häufig auf, nämlich das Wort „ich“. Aber was bedeutet dieser Begriff, der im Diesseits für die meisten Menschen wohl nicht das geringste Fragezeichen aufwirft, im Jenseits? Im Diesseits ist damit mein Körper und mein Bewusstsein gemeint. Es sind meine Arme, meine Beine, meine Augen, meine Ohren, mein Gehirn, mein Schmerz, meine Freude, meine Erinnerungen, usw. Damit also die Glückseligkeiten des Himmels genossen werden können, muss es im Himmel ebenfalls ein „ich“ geben, das diese genießen kann. Eine erste Frage, die zu beantworten sein wird, ist also: “Wer oder was ist ‚ich' im Himmel?“ Wie oben bereits erwähnt, nennen wir dieses Ich „meine Seele“, ohne sogleich genau darauf einzugehen, wer oder was sie ist.
Wenn wir diese Frage beantwortet haben, oder zumindest eine mögliche Vorstellung ausgearbeitet haben, stellen sich weitere Fragen bezüglich der Glücklichmachung im Himmel. Zur Erfüllung der ersten Bedingung, d.h. das Wiedersehen mit den Seelen der Menschen, die ich geliebt habe und deren Tod ich beweinen musste, muss meine Seele in der Lage sein, erstens sich an diesen Menschen zu erinnern und zweitens deren Seelen zu erkennen. Wenn ich nun diese Seelen im Himmel wiedererkenne, muss es mir noch dazu möglich sein, sicher sein zu können, dass diese Seelen glücklich sind.
Ich will mal all diese Bedingungen anhand eines hypothetischen Falls verständlicher machen. Nehmen wir an, mein zwölfjähriger Sohn spielt leidenschaftlich gerne Fußball und wird auf dem Weg vom Training nachhause bei einem Unfall getötet. Wenn meine Vorstellung vom Himmel nun mit der obigen in etwa übereinstimmt, würde ich mir nichts sehnlicher wünschen, als meinen Sohn im Himmel wiederzutreffen, als zu wissen, dass er dort glücklich ist und ich selber nicht von schlimmem Leid geplagt werde. So tröstlich dieser Gedanke auch sein mag, werde ich bei genauerer Betrachtung zwangsläufig mit folgenden Fragen konfrontiert:
1. Woran wird meine Seele diejenige meines Sohns erkennen, wissend dass wir doch seinen Körper mit Sicherheit begraben haben und letzterer mit Sicherheit verwest ist?
2. Woran wird mein Sohn meine Seele erkennen, weil auch mein Körper (möglicherweise um etliche Jahre gealtert) ebenfalls verwest sein wird, wenn meine Seele in den Himmel ankommt? Meine Seele wird nicht die eines fitten Mittvierzigers sein, der seinen Elfmeter hält, sondern wahrscheinlich die eines gebrechlichen Greises.
3. Wie kann meine Seele sicher sein, dass es der Seele meines Sohnes gut geht, wissend dass das höchste Glück meines Sohnes das Fußballspielen war?
Alleine diese Fragen lassen erahnen, dass der Himmel möglicherweise zu viel versprochen hat, und dass mir als Vater schon jetzt dämmert, dass ich wohl nie mehr, auch im Himmel nicht, im Tor stehen werde, und einen seiner scharf geschossenen Elfmeter werde halten können. Hier zeichnen sich bereits Konturen dieses Albtraums ab, der darin besteht, dass meine Seele sich im Himmel möglicherweise ewig lange genau nach diesem Elfmeterschießen sehnen wird. Und schon wieder muss ich mich überwinden, das Projekt Jenseits-Belebung weiter zu betreiben.
Aber zunächst werde ich mich der Frage, was Seele sein könnte, stellen. Der Leser, insbesondere der gläubige Leser, wird derlei Fragen für überflüssig und nicht nachvollziehbar halten. Ich erinnere aber an dieser Stelle gerne an den bereits angeführten Vergleich mit dem Spanienurlaub. Derjenige, der sich nach etwas sehnt, in diesem Falle nach dem ewigen Leben nach dem Tod, und bereit ist, sein irdisches Leben der Erfüllung dieser Sehnsucht entsprechend auszurichten, sich aber gleichzeitig weigert, den Gegenstand besagter Sehnsucht, in diesem Falle das jenseitige Leben, sich irgendwie auszumalen, der verweigert letztendlich das von mir geforderte Zu-Ende-Denken. Jener verweigert in gewissen Maße die Übernahme der Verantwortung für seine eigene, von ihm selber als vernünftig erachtete Sehnsucht. Das ist kindisch.
Diese Menschen machen sich nicht nur nicht die Mühe dieses ersehnte Paradies sich auszumalen, nein sie sträuben sich wahrscheinlich auch dagegen, sich ihren eigenen Zustand, in dem sie dieses Paradies glauben zu erleben, auszumalen. Wie bereits oben erwähnt, sind die meisten Menschen, die am Leben nach dem Tode glauben, darin einig, dass der „Körper“ wohl nicht mit ins Jenseits genommen werden kann. Es ist eine wie auch immer geartete Seele, die überlebt. Ich will jetzt hier keineswegs die Seele wissenschaftlich erkunden. Ich stelle mir lediglich die Frage, welche Eigenschaften sie haben müsste, damit ein Leben nach dem Tod in Form dieser Seele überhaupt wünschenswert sein könnte.
Übrigens, die bei Gläubigen weit verbreitete Überzeugung, dass Geist und Materie zwei grundverschiedene Dinge seien, gerät durch ein einfaches Experiment gehörig ins Wanken. Man nehme zwei Flaschen leckeren Rotwein und leere diese innerhalb einer halben Stunde. Jeder kann sich ausmalen, ohne es selber notwendigerweise auszuprobieren, dass durch diesen einfachen Vorgang der immateriell vermutete Geist mächtig ins Schlingern geraten wird. Es ist in diesem Falle nicht von der Hand zu weisen, dass die durch und durch materiellen Rotweinmoleküle auf das immateriell vermutete Bewusstsein mächtig einwirken. Das gleiche gilt natürlich bei allen anderen Drogen, so wie auch bei Psychopharmaka oder einfachen Schmerzmitteln. Wiederum wirken materielle Moleküle auf geistige Dinge, wie gefühlter Schmerz. Der Geist eines Patienten wird kurz vor der Operation am offenen Herzen mittels wiederum durch und durch materiellen Narkosemitteln voll und ganz außer Gefecht gesetzt. Die einfache Überlegung, dass ein Gemisch bestehend aus 99,7% reinem gesunden Blut und 0,3% Alkohol, welches mein Gehirn durchblutet, meine geistigen Fähigkeiten, wie Steuerung der Muskeln, Steuerung der Sprache, Gedächtnis, Wahrnehmung von Schmerzen, kognitives Denken, Entschlussfähigkeit, Empfindung von Mitleid, von Freude, von Trauer, Erinnerungsvermögen nachweisbar um weit mehr als gefühlte 0,3% verändert, führt ohne Umweg zu der Befürchtung, dass mein Geist erheblicheren Veränderungen ausgesetzt sein wird, wenn der Alkohol Anteil von 3 Promille auf 1000 Promille ansteigen und dann noch das von diesem Alkohol durchströmte Gehirn komplett wegfaulen würde. Ich vermute diese Veränderung des Geistes wäre so stark, dass man sich das besser nicht allzu konkret vorstellt.
Aber Bewusstsein und Geist müssen ja nicht mit Seele gleichgesetzt werden. Wie müsste sie, die Seele beschaffen sein, damit ich mich mit dem Glauben an einen Himmel, in dem ich durch meine Seele „vertreten“ werde, trösten kann. Die erste Bedingung wird sein, dass mein Ich sich als meine Seele wiedererkennt. Klingt kompliziert, ist aber im Grunde ganz einfach. Wenn ich z.B. beide Beine verliere, werde ich nicht daran zweifeln, dass der übrig gebliebene Körper ich bin. Wenn ich dazu noch die beiden Arme verliere, werde ich nicht daran zweifeln, dass der verbleibende Rumpf und Kopf ich bin. Wenn ich mir jetzt noch vorstelle, zu allem Übel noch die Stimme, das Gehör und das Augenlicht zu verlieren, wird's schon eng, aber mein Gehirn wird mir immer noch sagen, jetzt liegst Du als Rumpf mit Kopf im lautlosen Dunkel auf einem Bett. Das was hier liegt bin immer noch ich. Ich weiß z.B. dass die Hand, die über meinen Kopf streicht, diejenige der Krankenschwester sein muss, also die Hand eines anderen Menschen. Wenn die Ärzte nun aber, noch bevor ich mein Gehör verlor, mir im durchaus mitfühlenden aber sachlichen Ton erklärt haben, dass sie noch meinen Rumpf, mein Gesicht, ja den ganzen Schädel entfernen müssten, aber mein Gehirn voll funktionsfähig verbleiben würde, wird mir spätestens bei diesem Eingriff klar, dass ich jetzt nur noch ein mit Apparaten funktionsfähig erhaltenes Gehirn bin, mit Null Aussicht auf Besserung. Spätestens jetzt wird klar, dass bereits alleine eine körperlose Existenz ein Albtraum sein kann. Dieses im keimfreien Wärmeglaskasten auf der Intensivstation mit hochtechnisierten medizinischen Apparaten funktionsfähig gehaltene Gehirn, mein Gehirn, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Ort und die materielle Grundlage meines Bewusstseins ist, wird sich spätestens jetzt der Abwesenheit des restlichen Körpers in Form einer grauenvollen und albtraumhaften Erkenntnis bewusst. Das verbleibende ich in Form dieses mit frischem Blut versorgten Gehirnklumpens, der nicht einmal die Möglichkeit der Selbsttötung hat, wird sich wohl kaum nach etwas so sehr sehnen, als nach diesem für Krankheiten aller Art anfälligen und letztendlich der Verwesung anheim fallenden Körper. Dieses ich wird wohl jede religiös begründete Verachtung dieses jetzt so sehr vermissten Körpers verfluchen und sich fragen: "Warum tun alle Religionen diesem wunderbaren Körper dermaßen unrecht?" Nun gut, einige Gläubige sind überzeugt, dass sie im Himmel einen neuen Körper erhalten. Und tatsächlich, ich nahm mal aus Neugierde an einer von der evangelischen Gemeinde in St.Vith organisierten Bibelstunde teil. Ich fand es schon ziemlich deprimierend, an welchen Kinderglauben sich die Erwachsenen klammern, aber den Vogel schoss mein Tischnachbar ab. Er, ein gesunder Mitvierziger gestand mir, dass er sich schon jetzt auf seinen neuen Körper im Himmel freuen würde? Ich fand, dass sein jetziger Körper eigentlich ganz OK war. Ich glaube, dieser Mann ahnte gar nicht, wie sehr er mit dieser Bemerkung das Wesen von Religionen entlarvt hatte: Religion als Hoffnungsträger für vermeintlich Zukurzgekommene. Aber dazu später mehr.
Kehren wir zurück zu unserem körperlosen Gehirn. Hier wird der Gläubige einhaken und sagen, dass eben die Seele spätestens jetzt als Gefangener dieses auf Gehirn zusammengeschrumpften Körpers betrachtet werden muss. Gut, stellen wir uns jetzt vor, die Seele verlässt dieses Organ namens Gehirn und nimmt quasi das Ich mit. Damit ich mich mit dieser Seele identifizieren kann, muss diese Seele zumindest mein Bewusstsein umfassen. Sie muss meine ganzen Erinnerungen, meinen Verstand, meine Zuneigungen, meine Neigungen mitnehmen. Aber wo ist der Gewinn, der durch diesen „Auszug“ entsteht, wenn keinerlei „Körperfunktionen“ mitkommen? Wird sich diese Seele mit dem Produzieren von Gedanken und dem Hervorrufen von Erinnerungen begnügen müssen, oder erwachsen ihr wieder Funktionen wie „Sehen“, „Hören“, „Riechen“, „Sprechen“, "Berühren", "Bewegung", usw.? Kann diese Seele auf irgendeine Weise die Umgebung, also alles was außerhalb des Ichs ist, wahrnehmen und wird sie von dieser auf irgendeine Weise wahrgenommen? Wir stellen fest, dass eine Seele, die vollständig auf Funktionen, über die der Mensch dank seines Körpers verfügt, verzichten muss, eigentlich an sich bereits ein Albtraum ist. Damit das Buch nicht bereits hier endet, statten wir die Seele mit diesen Grundfunktionen aus. Nehmen wir also im Widerspruch zur Hypothese, dass der Mensch aus zwei getrennten Elementen, dem Körper und der Seele besteht, an, dass die Seele auch nach dem Tod des Körpers über eigenständige Funktionen, wie Sehen, Hören, Riechen, Sprechen, Berühren, Bewegung, die im Diesseits eindeutig dem Körper zugeordnet werden, verfügt.
Wenn wir nun annehmen, dass die Seele getrennt vom diesseitigen materiellen Körper existieren kann, drängt sich eine nicht unwichtige Zwischenfrage auf: “Wenn meine Seele in der Lage ist, ewig nach dem Tod meines diesseitigen Körpers überleben zu können, könnte es dann nicht sein, dass sie vielleicht schon vor meinem Körper existiert hat?“ Diese Frage lösen die Wiedergeburtsreligionen mit dem Glauben, dass die Seelen von Leichen zu Neugeborenen wandern. Wenn die Seelen das tun, benötigen sie keinen Himmel und kreisen sozusagen ständig in irdischen Gefilden umher. Mein Anliegen ist nun aber, mir den Himmel zur Brust zu nehmen, weil in meinem Kulturkreis er das Pfund ist, mit dem die Religion wuchert. Also die Seele, die ich meine, sollte ja mein persönlicher Stellvertreter, mehr als das, sie soll mein ich im Himmel sein. Also die Frage, ob meine persönliche Seele vor meiner Geburt existierte, ist schon berechtigt. Wenn man diese Frage nun mit Ja beantwortet, stellt sich nicht nur die Frage, in welcher Form die Seelen, bevor sie in die jeweiligen Körper „einziehen“, existieren, ob es da irgendwo ein „Lager“ mit körperlosen Seelen, die auf ihren Einsatz warten, gibt? Es stellt sich vielmehr die Frage, wieso erinnere ich mich nicht an diesen, meinen Geist, vor meiner materiellen Geburt? War meine persönliche Seele ein leerer Geist, der quasi bei der Empfängnis in den Zellenhaufen im Mutterleib, oder erst später bei der Geburt in die Säugling einzog?
Wird nun diese Frage nach der vorherigen Existenz der Seele mit Nein beantwortet, d.h. jeder Mensch hat seine eigene individuelle Seele, die mit seinem Körper zu existieren beginnt, kommt man nicht umhin, eine zumindest bei der Entstehung der Seele enge Verbindung zwischen Seele und Körper anzuerkennen. Ohne Körper, keine Seele! Aber lassen wir uns von dieser Zwischenfrage nicht aufhalten. Der gläubige Leser wird all diese Frage ohnehin vorschnell als Haarspalterei abtun. Aber das liegt möglicherweise daran, dass er den Begriff Seele zwar Tausende Male gebraucht, aber sich noch nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht hat, zu überlegen, was könnte genau dieses so wichtige Ding für meinen Glauben eigentlich sein?
Die derzeitige Definition der katholischen Theologen der Seele, die nicht wirklich weiterhilft, lautet in Etwa so: "Die unser ganzes Menschsein (mit Leib, Seele und Geist) betreffende Begabung, der Liebe Gottes mit unserer Liebe (zu ihm und zueinander) entsprechen zu können, ist unsere unsterbliche Seele" [5]. Wenn ich diese Definition etliche Male aufmerksam durchlese, verstehe ich sie folgendermaßen. Ein autistisches Kind hat dieser Definition zufolge keine unsterbliche Seele, weil es zumindest keinerlei Begabung, der Liebe Gottes mit seiner Liebe zu ihm und zueinander entsprechen zu können, erkennen lässt. Außerdem muss derjenige der keinerlei Begabung, der Liebe Gottes mit seiner Liebe zu ihm entsprechen zu können, in sich spürt folglich befürchten, dass er keine unsterbliche Seele hat. Zu letzterer Gruppe gehören neben mir wohl all diejenigen, die in der Vergangenheit und heute entweder gar keinen oder einen anderen, also falschen Gott liebten bzw. lieben. Ich verweise darauf, dass laut dieser Definition ein Glaube an Gott, also seine Existenz nicht zu anzuzweifeln, keineswegs ausreicht, um eine unsterbliche Seele zu haben. Nein man muss auch die Begabung haben, ihn lieben zu können. Ich habe eher den Eindruck, dass diese Theologen krampfhaft nach einer Definition suchen, die nicht schon morgen von nicht frommen Wissenschaftlern und Philosophen genüsslich auseinander genommen wird. Ich denke, so etwas kann nur ein Theologe ausbrüten, der keine Ahnung davon hat, wie eine irdische Mutter ihr irdisches Kind liebt. Diese Theologen reden dauernd von Liebe, haben aber möglicherweise keine Ahnung davon, wie z.B. Mutterliebe geradezu körperliche Schmerzen bereiten kann, wenn dem Kind etwas zustößt. Die Trauer, die eine Mutter Theresa, der ich hier keineswegs zu nahe treten will, wohl für ein sterbendes Kind in einem ihrer Krankenhäuser empfunden haben muss, reicht mitnichten an diesen körperlichen Schmerz heran, den die leibliche Mutter dieses Kindes in diesem Moment empfindet. Dass diese Theologen die unsterbliche Seele als eine Begabung verstehen, lässt das Ich-Bewusstsein ziemlich außen vor. Der Mensch ist mit Sicherheit begabt zu lieben, aber er ist viel mehr. Mein Kind ist für mich mehr, als dessen Begabung mich (und Gott?) lieben zu können. Ich vermisse bei dieser Seelendefinition die Ichhaftigkeit der Seele, also u.a. das Bewusstsein wer sie ist und woher sie kommt.
Im weiteren Verlauf dieses Buches werden wir also dieser Idee einer Seele die Eigenschaften der Ichhaftigkeit, d.h. sie erkennt sich als mein Ich wieder, und die übrigen angenehmen Fähigkeiten übereignen, die wir hier im Diesseits eindeutig dem Körper zuordnen würden. Ich erinnere den gläubigen Leser daran, dass diese Beschreibung der Seele möglicherweise stümperhaft ist, aber es könnte viel schlimmer kommen. Man denke bloß an den armen körperamputierten Gehirnmenschen in der Intensivstation. Und überhaupt, es steht jedem Leser frei, mir eine ansprechendere Definition von Seele vorzuschlagen. Ich würde sogar sehr darum bitten.
Gerhard Schmitz, St.Vith.
Die erste Bedingung wäre, dass ich die Seelen der Menschen, die ich geliebt habe und deren Tod ich beweinen musste, dort wiederträfe. Eigentlich mache ich bereits hier große Abstriche an meiner Idealvorstellung, weil ich mich mit den Seelen der Geliebten zufrieden gebe. Selbstverständlich möchte ich den ganzen geliebten Menschen wiedertreffen. In diesem Moment würde ich am liebsten mit dem Schreiben an diesem Buch aufhören, weil dieser Kompromiss schon im krassen Widerspruch zum Begriff Himmel steht. Denn die Mutter des gerade gestorbenen Kindes wird sich nie und nimmer damit zufrieden geben, nur die körperlose Seele ihres toten Kindes wiederzusehen. Ihr größter Wunsch wird sein, ihr ganzes Kind, mit Körper, lebendig in den Armen zu halten. In ihrem Falle wäre ein himmlischer Zustand wohl nur durch ein „Zurück in die Vergangenheit, wo ihr Kind noch lebte“ oder eine materielle Wiederbelebung des Körpers im Diesseits erreichbar. Nur, die Erfahrung lehrt uns leider, dass in derlei Fällen weder das Eine noch das Andere eintritt. Die Mutter wird, allen Hoffnungen auf ein göttliches Eingreifen zum Trotz, ihr totes Kind begraben müssen und somit zumindest der Wahrheit, dass der Körper des Kindes unwiederbringlich verwesen wird, ins Auge schauen müssen. Ich habe es selber zum Glück noch nicht erlebt, aber ich kenne Eltern, die diesen Supergau, den Tod des eigenen Kindes betrauern müssen, erlebt haben. Und da ich selber Kinder habe, kann ich mir es ein wenig vorstellen, was für ein Trümmerhaufen derlei Erleben hinterlassen muss. Wie gesagt, der versprochene Himmel sollte so sein, dass er sogar in diesem Falle Trost sein könnte. Und nur der Herrlichkeit Gottes mit den mehr als 5000 katholischen Heiligen huldigen, ist, und das kann ich wohl ohne Übertreibung sagen, ein wohl kaum messbarer Trost für diese Eltern. Trost, und somit eine der wichtigsten Anforderungen an den Himmel, kann in der Tat nur ein wie auch immer geartetes Wiedersehen mit demjenigen bzw. der Seele desjenigen sein, dessen Tod man bitterlich beweint hat.
Die zweite Bedingung wäre, dass diese Seelen, die ich im Himmel wieder antreffe, nicht unglücklich wären. Diese Seelen dürfen weder physische Schmerzen, insofern diese denkbar wären, noch psychische Schmerzen (Trauer, Angst) verspüren.
Die dritte Bedingung für den himmlischen Zustand wäre, dass ich selber weder physische Schmerzen, noch psychische Schmerzen verspürte. Ob dies jetzt im hellen Licht mit einem bärtigen Gott als Gesellschafter stattfindet ist zweitrangig.
Natürlich könnte der Himmel mir andere Annehmlichkeiten bieten, aber diese drei Bedingungen scheinen mir Grundvoraussetzungen zu sein, damit ich diesen Himmel als solchen betrachten könnte: 1. Wiedersehen mit den geliebten Menschen, 2. geliebte Menschen sind glücklich, 3. ich selber bin glücklich.
Bei diesem zugegebenermaßen groben Entwurf tritt ein Begriff wohl unbemerkt sehr häufig auf, nämlich das Wort „ich“. Aber was bedeutet dieser Begriff, der im Diesseits für die meisten Menschen wohl nicht das geringste Fragezeichen aufwirft, im Jenseits? Im Diesseits ist damit mein Körper und mein Bewusstsein gemeint. Es sind meine Arme, meine Beine, meine Augen, meine Ohren, mein Gehirn, mein Schmerz, meine Freude, meine Erinnerungen, usw. Damit also die Glückseligkeiten des Himmels genossen werden können, muss es im Himmel ebenfalls ein „ich“ geben, das diese genießen kann. Eine erste Frage, die zu beantworten sein wird, ist also: “Wer oder was ist ‚ich' im Himmel?“ Wie oben bereits erwähnt, nennen wir dieses Ich „meine Seele“, ohne sogleich genau darauf einzugehen, wer oder was sie ist.
Wenn wir diese Frage beantwortet haben, oder zumindest eine mögliche Vorstellung ausgearbeitet haben, stellen sich weitere Fragen bezüglich der Glücklichmachung im Himmel. Zur Erfüllung der ersten Bedingung, d.h. das Wiedersehen mit den Seelen der Menschen, die ich geliebt habe und deren Tod ich beweinen musste, muss meine Seele in der Lage sein, erstens sich an diesen Menschen zu erinnern und zweitens deren Seelen zu erkennen. Wenn ich nun diese Seelen im Himmel wiedererkenne, muss es mir noch dazu möglich sein, sicher sein zu können, dass diese Seelen glücklich sind.
Ich will mal all diese Bedingungen anhand eines hypothetischen Falls verständlicher machen. Nehmen wir an, mein zwölfjähriger Sohn spielt leidenschaftlich gerne Fußball und wird auf dem Weg vom Training nachhause bei einem Unfall getötet. Wenn meine Vorstellung vom Himmel nun mit der obigen in etwa übereinstimmt, würde ich mir nichts sehnlicher wünschen, als meinen Sohn im Himmel wiederzutreffen, als zu wissen, dass er dort glücklich ist und ich selber nicht von schlimmem Leid geplagt werde. So tröstlich dieser Gedanke auch sein mag, werde ich bei genauerer Betrachtung zwangsläufig mit folgenden Fragen konfrontiert:
1. Woran wird meine Seele diejenige meines Sohns erkennen, wissend dass wir doch seinen Körper mit Sicherheit begraben haben und letzterer mit Sicherheit verwest ist?
2. Woran wird mein Sohn meine Seele erkennen, weil auch mein Körper (möglicherweise um etliche Jahre gealtert) ebenfalls verwest sein wird, wenn meine Seele in den Himmel ankommt? Meine Seele wird nicht die eines fitten Mittvierzigers sein, der seinen Elfmeter hält, sondern wahrscheinlich die eines gebrechlichen Greises.
3. Wie kann meine Seele sicher sein, dass es der Seele meines Sohnes gut geht, wissend dass das höchste Glück meines Sohnes das Fußballspielen war?
Alleine diese Fragen lassen erahnen, dass der Himmel möglicherweise zu viel versprochen hat, und dass mir als Vater schon jetzt dämmert, dass ich wohl nie mehr, auch im Himmel nicht, im Tor stehen werde, und einen seiner scharf geschossenen Elfmeter werde halten können. Hier zeichnen sich bereits Konturen dieses Albtraums ab, der darin besteht, dass meine Seele sich im Himmel möglicherweise ewig lange genau nach diesem Elfmeterschießen sehnen wird. Und schon wieder muss ich mich überwinden, das Projekt Jenseits-Belebung weiter zu betreiben.
Aber zunächst werde ich mich der Frage, was Seele sein könnte, stellen. Der Leser, insbesondere der gläubige Leser, wird derlei Fragen für überflüssig und nicht nachvollziehbar halten. Ich erinnere aber an dieser Stelle gerne an den bereits angeführten Vergleich mit dem Spanienurlaub. Derjenige, der sich nach etwas sehnt, in diesem Falle nach dem ewigen Leben nach dem Tod, und bereit ist, sein irdisches Leben der Erfüllung dieser Sehnsucht entsprechend auszurichten, sich aber gleichzeitig weigert, den Gegenstand besagter Sehnsucht, in diesem Falle das jenseitige Leben, sich irgendwie auszumalen, der verweigert letztendlich das von mir geforderte Zu-Ende-Denken. Jener verweigert in gewissen Maße die Übernahme der Verantwortung für seine eigene, von ihm selber als vernünftig erachtete Sehnsucht. Das ist kindisch.
Diese Menschen machen sich nicht nur nicht die Mühe dieses ersehnte Paradies sich auszumalen, nein sie sträuben sich wahrscheinlich auch dagegen, sich ihren eigenen Zustand, in dem sie dieses Paradies glauben zu erleben, auszumalen. Wie bereits oben erwähnt, sind die meisten Menschen, die am Leben nach dem Tode glauben, darin einig, dass der „Körper“ wohl nicht mit ins Jenseits genommen werden kann. Es ist eine wie auch immer geartete Seele, die überlebt. Ich will jetzt hier keineswegs die Seele wissenschaftlich erkunden. Ich stelle mir lediglich die Frage, welche Eigenschaften sie haben müsste, damit ein Leben nach dem Tod in Form dieser Seele überhaupt wünschenswert sein könnte.
Übrigens, die bei Gläubigen weit verbreitete Überzeugung, dass Geist und Materie zwei grundverschiedene Dinge seien, gerät durch ein einfaches Experiment gehörig ins Wanken. Man nehme zwei Flaschen leckeren Rotwein und leere diese innerhalb einer halben Stunde. Jeder kann sich ausmalen, ohne es selber notwendigerweise auszuprobieren, dass durch diesen einfachen Vorgang der immateriell vermutete Geist mächtig ins Schlingern geraten wird. Es ist in diesem Falle nicht von der Hand zu weisen, dass die durch und durch materiellen Rotweinmoleküle auf das immateriell vermutete Bewusstsein mächtig einwirken. Das gleiche gilt natürlich bei allen anderen Drogen, so wie auch bei Psychopharmaka oder einfachen Schmerzmitteln. Wiederum wirken materielle Moleküle auf geistige Dinge, wie gefühlter Schmerz. Der Geist eines Patienten wird kurz vor der Operation am offenen Herzen mittels wiederum durch und durch materiellen Narkosemitteln voll und ganz außer Gefecht gesetzt. Die einfache Überlegung, dass ein Gemisch bestehend aus 99,7% reinem gesunden Blut und 0,3% Alkohol, welches mein Gehirn durchblutet, meine geistigen Fähigkeiten, wie Steuerung der Muskeln, Steuerung der Sprache, Gedächtnis, Wahrnehmung von Schmerzen, kognitives Denken, Entschlussfähigkeit, Empfindung von Mitleid, von Freude, von Trauer, Erinnerungsvermögen nachweisbar um weit mehr als gefühlte 0,3% verändert, führt ohne Umweg zu der Befürchtung, dass mein Geist erheblicheren Veränderungen ausgesetzt sein wird, wenn der Alkohol Anteil von 3 Promille auf 1000 Promille ansteigen und dann noch das von diesem Alkohol durchströmte Gehirn komplett wegfaulen würde. Ich vermute diese Veränderung des Geistes wäre so stark, dass man sich das besser nicht allzu konkret vorstellt.
Aber Bewusstsein und Geist müssen ja nicht mit Seele gleichgesetzt werden. Wie müsste sie, die Seele beschaffen sein, damit ich mich mit dem Glauben an einen Himmel, in dem ich durch meine Seele „vertreten“ werde, trösten kann. Die erste Bedingung wird sein, dass mein Ich sich als meine Seele wiedererkennt. Klingt kompliziert, ist aber im Grunde ganz einfach. Wenn ich z.B. beide Beine verliere, werde ich nicht daran zweifeln, dass der übrig gebliebene Körper ich bin. Wenn ich dazu noch die beiden Arme verliere, werde ich nicht daran zweifeln, dass der verbleibende Rumpf und Kopf ich bin. Wenn ich mir jetzt noch vorstelle, zu allem Übel noch die Stimme, das Gehör und das Augenlicht zu verlieren, wird's schon eng, aber mein Gehirn wird mir immer noch sagen, jetzt liegst Du als Rumpf mit Kopf im lautlosen Dunkel auf einem Bett. Das was hier liegt bin immer noch ich. Ich weiß z.B. dass die Hand, die über meinen Kopf streicht, diejenige der Krankenschwester sein muss, also die Hand eines anderen Menschen. Wenn die Ärzte nun aber, noch bevor ich mein Gehör verlor, mir im durchaus mitfühlenden aber sachlichen Ton erklärt haben, dass sie noch meinen Rumpf, mein Gesicht, ja den ganzen Schädel entfernen müssten, aber mein Gehirn voll funktionsfähig verbleiben würde, wird mir spätestens bei diesem Eingriff klar, dass ich jetzt nur noch ein mit Apparaten funktionsfähig erhaltenes Gehirn bin, mit Null Aussicht auf Besserung. Spätestens jetzt wird klar, dass bereits alleine eine körperlose Existenz ein Albtraum sein kann. Dieses im keimfreien Wärmeglaskasten auf der Intensivstation mit hochtechnisierten medizinischen Apparaten funktionsfähig gehaltene Gehirn, mein Gehirn, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Ort und die materielle Grundlage meines Bewusstseins ist, wird sich spätestens jetzt der Abwesenheit des restlichen Körpers in Form einer grauenvollen und albtraumhaften Erkenntnis bewusst. Das verbleibende ich in Form dieses mit frischem Blut versorgten Gehirnklumpens, der nicht einmal die Möglichkeit der Selbsttötung hat, wird sich wohl kaum nach etwas so sehr sehnen, als nach diesem für Krankheiten aller Art anfälligen und letztendlich der Verwesung anheim fallenden Körper. Dieses ich wird wohl jede religiös begründete Verachtung dieses jetzt so sehr vermissten Körpers verfluchen und sich fragen: "Warum tun alle Religionen diesem wunderbaren Körper dermaßen unrecht?" Nun gut, einige Gläubige sind überzeugt, dass sie im Himmel einen neuen Körper erhalten. Und tatsächlich, ich nahm mal aus Neugierde an einer von der evangelischen Gemeinde in St.Vith organisierten Bibelstunde teil. Ich fand es schon ziemlich deprimierend, an welchen Kinderglauben sich die Erwachsenen klammern, aber den Vogel schoss mein Tischnachbar ab. Er, ein gesunder Mitvierziger gestand mir, dass er sich schon jetzt auf seinen neuen Körper im Himmel freuen würde? Ich fand, dass sein jetziger Körper eigentlich ganz OK war. Ich glaube, dieser Mann ahnte gar nicht, wie sehr er mit dieser Bemerkung das Wesen von Religionen entlarvt hatte: Religion als Hoffnungsträger für vermeintlich Zukurzgekommene. Aber dazu später mehr.
Kehren wir zurück zu unserem körperlosen Gehirn. Hier wird der Gläubige einhaken und sagen, dass eben die Seele spätestens jetzt als Gefangener dieses auf Gehirn zusammengeschrumpften Körpers betrachtet werden muss. Gut, stellen wir uns jetzt vor, die Seele verlässt dieses Organ namens Gehirn und nimmt quasi das Ich mit. Damit ich mich mit dieser Seele identifizieren kann, muss diese Seele zumindest mein Bewusstsein umfassen. Sie muss meine ganzen Erinnerungen, meinen Verstand, meine Zuneigungen, meine Neigungen mitnehmen. Aber wo ist der Gewinn, der durch diesen „Auszug“ entsteht, wenn keinerlei „Körperfunktionen“ mitkommen? Wird sich diese Seele mit dem Produzieren von Gedanken und dem Hervorrufen von Erinnerungen begnügen müssen, oder erwachsen ihr wieder Funktionen wie „Sehen“, „Hören“, „Riechen“, „Sprechen“, "Berühren", "Bewegung", usw.? Kann diese Seele auf irgendeine Weise die Umgebung, also alles was außerhalb des Ichs ist, wahrnehmen und wird sie von dieser auf irgendeine Weise wahrgenommen? Wir stellen fest, dass eine Seele, die vollständig auf Funktionen, über die der Mensch dank seines Körpers verfügt, verzichten muss, eigentlich an sich bereits ein Albtraum ist. Damit das Buch nicht bereits hier endet, statten wir die Seele mit diesen Grundfunktionen aus. Nehmen wir also im Widerspruch zur Hypothese, dass der Mensch aus zwei getrennten Elementen, dem Körper und der Seele besteht, an, dass die Seele auch nach dem Tod des Körpers über eigenständige Funktionen, wie Sehen, Hören, Riechen, Sprechen, Berühren, Bewegung, die im Diesseits eindeutig dem Körper zugeordnet werden, verfügt.
Wenn wir nun annehmen, dass die Seele getrennt vom diesseitigen materiellen Körper existieren kann, drängt sich eine nicht unwichtige Zwischenfrage auf: “Wenn meine Seele in der Lage ist, ewig nach dem Tod meines diesseitigen Körpers überleben zu können, könnte es dann nicht sein, dass sie vielleicht schon vor meinem Körper existiert hat?“ Diese Frage lösen die Wiedergeburtsreligionen mit dem Glauben, dass die Seelen von Leichen zu Neugeborenen wandern. Wenn die Seelen das tun, benötigen sie keinen Himmel und kreisen sozusagen ständig in irdischen Gefilden umher. Mein Anliegen ist nun aber, mir den Himmel zur Brust zu nehmen, weil in meinem Kulturkreis er das Pfund ist, mit dem die Religion wuchert. Also die Seele, die ich meine, sollte ja mein persönlicher Stellvertreter, mehr als das, sie soll mein ich im Himmel sein. Also die Frage, ob meine persönliche Seele vor meiner Geburt existierte, ist schon berechtigt. Wenn man diese Frage nun mit Ja beantwortet, stellt sich nicht nur die Frage, in welcher Form die Seelen, bevor sie in die jeweiligen Körper „einziehen“, existieren, ob es da irgendwo ein „Lager“ mit körperlosen Seelen, die auf ihren Einsatz warten, gibt? Es stellt sich vielmehr die Frage, wieso erinnere ich mich nicht an diesen, meinen Geist, vor meiner materiellen Geburt? War meine persönliche Seele ein leerer Geist, der quasi bei der Empfängnis in den Zellenhaufen im Mutterleib, oder erst später bei der Geburt in die Säugling einzog?
Wird nun diese Frage nach der vorherigen Existenz der Seele mit Nein beantwortet, d.h. jeder Mensch hat seine eigene individuelle Seele, die mit seinem Körper zu existieren beginnt, kommt man nicht umhin, eine zumindest bei der Entstehung der Seele enge Verbindung zwischen Seele und Körper anzuerkennen. Ohne Körper, keine Seele! Aber lassen wir uns von dieser Zwischenfrage nicht aufhalten. Der gläubige Leser wird all diese Frage ohnehin vorschnell als Haarspalterei abtun. Aber das liegt möglicherweise daran, dass er den Begriff Seele zwar Tausende Male gebraucht, aber sich noch nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht hat, zu überlegen, was könnte genau dieses so wichtige Ding für meinen Glauben eigentlich sein?
Die derzeitige Definition der katholischen Theologen der Seele, die nicht wirklich weiterhilft, lautet in Etwa so: "Die unser ganzes Menschsein (mit Leib, Seele und Geist) betreffende Begabung, der Liebe Gottes mit unserer Liebe (zu ihm und zueinander) entsprechen zu können, ist unsere unsterbliche Seele" [5]. Wenn ich diese Definition etliche Male aufmerksam durchlese, verstehe ich sie folgendermaßen. Ein autistisches Kind hat dieser Definition zufolge keine unsterbliche Seele, weil es zumindest keinerlei Begabung, der Liebe Gottes mit seiner Liebe zu ihm und zueinander entsprechen zu können, erkennen lässt. Außerdem muss derjenige der keinerlei Begabung, der Liebe Gottes mit seiner Liebe zu ihm entsprechen zu können, in sich spürt folglich befürchten, dass er keine unsterbliche Seele hat. Zu letzterer Gruppe gehören neben mir wohl all diejenigen, die in der Vergangenheit und heute entweder gar keinen oder einen anderen, also falschen Gott liebten bzw. lieben. Ich verweise darauf, dass laut dieser Definition ein Glaube an Gott, also seine Existenz nicht zu anzuzweifeln, keineswegs ausreicht, um eine unsterbliche Seele zu haben. Nein man muss auch die Begabung haben, ihn lieben zu können. Ich habe eher den Eindruck, dass diese Theologen krampfhaft nach einer Definition suchen, die nicht schon morgen von nicht frommen Wissenschaftlern und Philosophen genüsslich auseinander genommen wird. Ich denke, so etwas kann nur ein Theologe ausbrüten, der keine Ahnung davon hat, wie eine irdische Mutter ihr irdisches Kind liebt. Diese Theologen reden dauernd von Liebe, haben aber möglicherweise keine Ahnung davon, wie z.B. Mutterliebe geradezu körperliche Schmerzen bereiten kann, wenn dem Kind etwas zustößt. Die Trauer, die eine Mutter Theresa, der ich hier keineswegs zu nahe treten will, wohl für ein sterbendes Kind in einem ihrer Krankenhäuser empfunden haben muss, reicht mitnichten an diesen körperlichen Schmerz heran, den die leibliche Mutter dieses Kindes in diesem Moment empfindet. Dass diese Theologen die unsterbliche Seele als eine Begabung verstehen, lässt das Ich-Bewusstsein ziemlich außen vor. Der Mensch ist mit Sicherheit begabt zu lieben, aber er ist viel mehr. Mein Kind ist für mich mehr, als dessen Begabung mich (und Gott?) lieben zu können. Ich vermisse bei dieser Seelendefinition die Ichhaftigkeit der Seele, also u.a. das Bewusstsein wer sie ist und woher sie kommt.
Im weiteren Verlauf dieses Buches werden wir also dieser Idee einer Seele die Eigenschaften der Ichhaftigkeit, d.h. sie erkennt sich als mein Ich wieder, und die übrigen angenehmen Fähigkeiten übereignen, die wir hier im Diesseits eindeutig dem Körper zuordnen würden. Ich erinnere den gläubigen Leser daran, dass diese Beschreibung der Seele möglicherweise stümperhaft ist, aber es könnte viel schlimmer kommen. Man denke bloß an den armen körperamputierten Gehirnmenschen in der Intensivstation. Und überhaupt, es steht jedem Leser frei, mir eine ansprechendere Definition von Seele vorzuschlagen. Ich würde sogar sehr darum bitten.
Partage