Zu Teil 11
Bis hierhin habe ich versucht mir vorzustellen, wie das Lieben und Denken im Jenseits funktionieren könnte. Die naheliegende Frage, die noch zu klären wäre, ist folgende: Was passiert mit der Sexualität? Ja gut, der Islam verspricht dem männlichen Märtyrer um die 70 Jungfrauen zur freien Verfügung. Mir ist jetzt nicht bekannt, was den weiblichen Märtyrern im Himmel versprochen wird. Ich würde dem angehenden Märtyrer vorschlagen, sich eine Woche lang im Swingerclub einzuquartieren. Ich würde wetten, auch wenn er da kaum Jungfrauen antreffen wird, er eine Idee davon bekommen würde, dass liebloser Sex, so befriedigend er auch sein mag, es doch wohl nicht wert ist, sich selber mit einem lauten Knall in tausend Stücke zu zerlegen und auf den schönen langen Rest des irdischen Lebens zu verzichten.
Die christliche Antwort wird sein: Im Himmel gibt's keinen Sex, weil die Fortpflanzung entfällt. Und somit landen wir schnurstracks zum Problem der Abwesenheit von Fortpflanzung. Der Wegfall der Fortpflanzung bedeutet auch Wegfall von Wachstum und Veränderung, so wie wir diese im Diesseits kennen. Einem Wegfall der Veränderung, sprich der Alterung des Körpers werden möglicherweise noch die meisten etwas Positives abgewinnen können. Der Traum der ewigen Jugend wäre endlich kein Traum mehr. Es wäre durchaus auf den ersten Blick denkbar, dass man allen Seelen den feinstoffigen Körper, wie ihn sich Augustinus vorstellt, eines ewigen Mitdreißigers zugesteht. Wenn nun aber die Sexualität und, wie gesehen, die horizontal verlaufenden Zuneigungslinien weggefallen, wieso sich dann eigentlich noch einen tollen Körper wünschen, wenn doch alle nur nach Gott schauen? Die vielleicht interessantere Frage betrifft den Zustand des Bewusstseins der Seelen? Aber auf welchen Stand will man das Bewusstsein einfrieren, wenn man es überhaupt einfrieren will. Wird die Seele ein Gebilde aus dreißigjährigem Körper und 70jährigem Bewusstsein sein, oder nimmt jeder Tote den letzten Stand seines irdischen Bewusstseins mit in den Himmel, wo es sich dann, abgesehen von der Gottesschau, nicht sonderlich weiterentwickelt? Und bleibt das Bewusstsein dann auf diesem Stand stehen?
Die Kernfrage ist Folgende: Gibt es im Himmel überhaupt Entwicklung, Veränderung? Derjenige, der an einen perfekten Gott glaubt, muss diese Frage eigentlich mit Nein beantworten. Denn eine sinnvolle Entwicklung ist eine Veränderung von einem bestimmten Zustand in einen besseren Zustand. Wenn also sogar im Himmel eine Veränderung von einem bestimmten in einen besseren Zustand möglich sein soll, bedeutet dass folgerichtig, dass der derzeitige Zustand nicht perfekt ist. Aber warum sollte Gott so ein Spielchen mit den Seelen spielen, indem er ihnen die Glückseligkeit scheibenweise verabreicht, oder überlässt er den Seelen diese Freiheit, sich selber sozusagen mit offenem Ende weiterzuentwickeln. Aber ich vermute mal, dass die meisten Jenseitsgläubigen wohl eher eine Vorstellung vom Himmel haben, in dem alles perfekt und vollkommen ist. Und diese Vollkommenheit bedarf keiner Weiterentwicklung mehr. Sie ist eine Art Glückszustand im Stillstand. Die Aussicht auf einen ewig dauernden Stillstand mag, wie gesagt auf den ersten Blick, wenn man die ewige Jugend vor Augen hat, attraktiv sein. Wenn man sich aber überlegt, was das irdische Leben lebenswert machte, so hat das eben nicht mit Stillstand zu tun, sondern, mit Entwicklung. Sei es aus Sicht des Kindes, das es kaum erwarten kann, groß zu werden, und sich über jede Erweiterung seiner Freiheit und seiner Verantwortung wie ein Schneekönig freut, sei es aus Sicht der Eltern, die genau diese Entwicklung des Kindes, in den allermeisten Fällen, mit einem erheblichen Glücksgefühl begleiten, sei es aus Sicht eines jeden Werktätigen, der in seinem Beruf Erfüllung findet. Derlei Erfüllung wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Entwicklung und Veränderung zusammenhängen. Alleine das Produkt seiner Arbeit ist ja letztendlich nichts anderes als der Nachweis für Veränderung. Seine Arbeit verändert Dinge. Eine Arbeit die keinerlei Veränderung zur Folge hat, ist vollständig unsinnig und folglich frustrierend. Natürlich kennt jeder Mensch Glücksmomente, die er gerne festhalten möchte, ja geradezu einfrieren möchte. Aber bei genauerem Hinsehen ist dieser Glücksmoment genau deswegen beglückend, weil er nur einen Moment andauert. Stellen wir uns ein Konzert von Eric Clapton vor, in dem er den wunderbaren Titel „Tears in Heaven“ 20 Mal wiederholen würde. Er könnte sich noch soviel Mühe bei der Interpretation geben, es wäre zwecklos. Spätestens nach der vierten Wiederholung würde das Glücksgefühl, das die Fans noch beim ersten Mal zu Recht empfunden haben, einem sehr unangenehmen Gefühl von Genervtheit weichen. Genau so wenig kann ich wochenlang in die Niagarafälle hineinstarren, ohne dass dies zu regelrechten Schmerzen führen würde. Sogar das Herzklopfen eines Verliebten ist deswegen so erstrebenswert, weil es eine Zustandsveränderung von langsam schlagendem Herzen zu einem rasenden Herzen ist. Um diese so beglückende Zustandsveränderung immer wieder empfinden zu können, muss sich das Herz auch zwischendurch mal beruhigen dürfen. Dieses Herzklopfen ist zudem das Ergebnis einer Spannung und Unsicherheit, die im Moment der Erkenntnis, dass der Geliebte das gleiche empfindet, sich in eine sehr wohltuende Erleichterung als Glück äußert. Aber dieses Glück benötigte die vorherige Ungewissheit, also die reale Möglichkeit der Enttäuschung. Wer also im Himmel sich dieses Herzklopfen als ewigen Zustand herbeisehnt, nimmt entweder das Risiko der Enttäuschung in Kauf, womit, sollte die Enttäuschung eintreten, er den Himmel wohl verfluchen wird, oder lügt sich in die Tasche, weil der den Ursprung dieses Glücksgefühl nicht wahrhaben will. Im Übrigen kann ich nur an das erinnern, was ich im vorigen Teil in Bezug auf die himmlische Liebe bereits dargelegt habe.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Stillstand ist für den Menschen keineswegs beglückend. Der Mensch ist durch und durch ein von Bewegung geprägtes Wesen. Diese Bewegung drückt sich in seinem Körper aus: der Mensch hat Beine, keine im Boden verwachsene Wurzeln. Diese Bewegung drückt sich im Denken aus: der Mensch denkt immer wieder neue Gedanken, denn immer wiederkehrende Gedanken treiben ihn schlichtweg in den Wahnsinn. Diese Bewegung drückt sich im Fühlen aus: der Mensch empfindet Glück, wenn eine Veränderung zum Besseren stattfindet. Diese Veränderung mag sich in Bezug auf seine eigene Person, oder auf Personen, die er liebt oder mit denen er Mitgefühl entwickelt, beziehen. Wie bereits erwähnt, empfindet der Verliebte in dem Moment das größte Glück, wo die Unsicherheit der Gewissheit weicht, dass auch er geliebt wird. Der Gesundgewordene ist glücklich, weil er vorher krank war. Der Fußballfan ist glücklich, weil das letzte Tor den Sieg seiner Mannschaft bedeutete. Die Eltern freuen sich, weil ihr Kind ein neues Wort gelernt hat. Der Zahnarzt freut sich, weil sein Patient wieder schmerzfrei lachen kann. Der Künstler freut sich, weil sein Publikum sich hinstellt und minutenlang applaudiert. Würde es stundenlang applaudieren, würde sein Glück bestenfalls zu Nachdenklichkeit mutieren. Der Schaffende kann kein Glück empfinden, wenn er nichts schaffen kann. Schaffen heißt verändern, und sei es nur ein weißes Blatt Papier mit einem darauf geschriebenen Satz zu verändern. Der Mensch hat nun die wunderbare Eigenschaft, dass er einerseits Vorfreude auf zu erwartende Glückszustände empfinden und andererseits lange von kurzzeitigen Glücksmomenten dank der Erinnerung zehren kann. Aber die Glücksmomente selber, auf die er sich vorfreut oder von denen er im nachhinein zehren will, haben mit Veränderung zu tun und gründen letztendlich niemals auf Stillstand.
Überhaupt, wie soll die Seele des Menschen, der gerade in seiner Aufgabe im Diesseits sein Glück fand, im Jenseits glücklich sein, wenn eben diese Aufgabe entfällt. Ich vermute, dass sogar katholische Würdenträger es nicht besonders eilig haben, in den Himmel zu kommen, in welchem sie ihrer irdischen Aufgabe beraubt wären. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Dorfpfarrer, der im Diesseits die ihm seitens seiner Pfarrmitglieder entgegenbrachte Achtung im Jenseits verschmerzen müsste, sich dafür einen Ersatz überhaupt vorstellen könnte. Die Schwere dieses Verlustes der irdischen Aufgabe wiegt um so schwerer, je "bedeutender" derlei Aufgabe im Diesseits ist. So wird der Bischof seine Aufgabe möglicherweise mehr vermissen, als der Dorfpfarrer und der Kardinal seine mehr als der Bischof und zu guter Letzt wird es dem Papst am schwersten Fallen, im Himmel nur eine gewöhnliche Seele unter vielen zu sein.
Wenn nun Seelen der Menschen im Himmel ewig glücklich sein sollen, wird dies kaum mit Stillstand, sozusagen dem Einfrieren eines Glückmoments möglich sein. Es sei denn, die Seele habe sowenig mit dem Menschen gemein, dass Letztere sich kaum in ihr wiedererkennen dürfte. Als ich z.B. 30 Jahre alt war, hatte ich eine Frau, die ich auch heute noch habe, und drei Kinder im Alter von einem Jahr bis acht Jahre. Ich war glücklich und hätte vielleicht gerne diesen Zustand verewigt. Aber bei genauerem Nachdenken wäre ich zu der Zeit mit Sicherheit deutlich weniger glücklich gewesen, wenn ich gewusst hätte, dieser Zustand bleibt genauso wie er jetzt ist, und das in alle Ewigkeit. Die Vorstellung, dass die Kinder nicht größer werden würden, die Jüngste nicht würde reden lernen, die Größeren nicht Jugendliche, dann Abiturienten, dann Studenten, sich nie verlieben würden, nie selber Kinder haben würden, usw. hätte dem damals empfundenen Glück mit Sicherheit einen heftigen Abbruch bereitet. Mittlerweile bin ich Großvater und meine Älteste ist Mutter und selber fast 30 Jahre. Und damit mein Enkel größer werden darf, was ich, aber vor allem meiner Tochter und meinem Schwiegersohn von Herzen gönne, muss auch für ihn die Zeit weiterlaufen. Die Vorstellung, dass ich selber jetzt noch 30 Jahre alt wäre, wäre mir unangenehm. Ich bin jetzt gerne ein fünfzigjähriger Opa, lieber als ein dreißigjähriger Opa. Und ich denke, es ist meiner erwachsenen Tochter auch lieber, dass ich „älter“ bin als sie. Würde ich auf meine ewige Jugend bestehen, würde ich meiner Tochter jetzt im Wege stehen, etwas, dass ich nicht wollte. Derjenige, der ewige Jugend als himmlisches Glück betrachtet, schließt sozusagen das Glück, das gerade in diesem Zeitenstrom erst möglich ist, aus.
Gerhard Schmitz, St.Vith.Die christliche Antwort wird sein: Im Himmel gibt's keinen Sex, weil die Fortpflanzung entfällt. Und somit landen wir schnurstracks zum Problem der Abwesenheit von Fortpflanzung. Der Wegfall der Fortpflanzung bedeutet auch Wegfall von Wachstum und Veränderung, so wie wir diese im Diesseits kennen. Einem Wegfall der Veränderung, sprich der Alterung des Körpers werden möglicherweise noch die meisten etwas Positives abgewinnen können. Der Traum der ewigen Jugend wäre endlich kein Traum mehr. Es wäre durchaus auf den ersten Blick denkbar, dass man allen Seelen den feinstoffigen Körper, wie ihn sich Augustinus vorstellt, eines ewigen Mitdreißigers zugesteht. Wenn nun aber die Sexualität und, wie gesehen, die horizontal verlaufenden Zuneigungslinien weggefallen, wieso sich dann eigentlich noch einen tollen Körper wünschen, wenn doch alle nur nach Gott schauen? Die vielleicht interessantere Frage betrifft den Zustand des Bewusstseins der Seelen? Aber auf welchen Stand will man das Bewusstsein einfrieren, wenn man es überhaupt einfrieren will. Wird die Seele ein Gebilde aus dreißigjährigem Körper und 70jährigem Bewusstsein sein, oder nimmt jeder Tote den letzten Stand seines irdischen Bewusstseins mit in den Himmel, wo es sich dann, abgesehen von der Gottesschau, nicht sonderlich weiterentwickelt? Und bleibt das Bewusstsein dann auf diesem Stand stehen?
Die Kernfrage ist Folgende: Gibt es im Himmel überhaupt Entwicklung, Veränderung? Derjenige, der an einen perfekten Gott glaubt, muss diese Frage eigentlich mit Nein beantworten. Denn eine sinnvolle Entwicklung ist eine Veränderung von einem bestimmten Zustand in einen besseren Zustand. Wenn also sogar im Himmel eine Veränderung von einem bestimmten in einen besseren Zustand möglich sein soll, bedeutet dass folgerichtig, dass der derzeitige Zustand nicht perfekt ist. Aber warum sollte Gott so ein Spielchen mit den Seelen spielen, indem er ihnen die Glückseligkeit scheibenweise verabreicht, oder überlässt er den Seelen diese Freiheit, sich selber sozusagen mit offenem Ende weiterzuentwickeln. Aber ich vermute mal, dass die meisten Jenseitsgläubigen wohl eher eine Vorstellung vom Himmel haben, in dem alles perfekt und vollkommen ist. Und diese Vollkommenheit bedarf keiner Weiterentwicklung mehr. Sie ist eine Art Glückszustand im Stillstand. Die Aussicht auf einen ewig dauernden Stillstand mag, wie gesagt auf den ersten Blick, wenn man die ewige Jugend vor Augen hat, attraktiv sein. Wenn man sich aber überlegt, was das irdische Leben lebenswert machte, so hat das eben nicht mit Stillstand zu tun, sondern, mit Entwicklung. Sei es aus Sicht des Kindes, das es kaum erwarten kann, groß zu werden, und sich über jede Erweiterung seiner Freiheit und seiner Verantwortung wie ein Schneekönig freut, sei es aus Sicht der Eltern, die genau diese Entwicklung des Kindes, in den allermeisten Fällen, mit einem erheblichen Glücksgefühl begleiten, sei es aus Sicht eines jeden Werktätigen, der in seinem Beruf Erfüllung findet. Derlei Erfüllung wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Entwicklung und Veränderung zusammenhängen. Alleine das Produkt seiner Arbeit ist ja letztendlich nichts anderes als der Nachweis für Veränderung. Seine Arbeit verändert Dinge. Eine Arbeit die keinerlei Veränderung zur Folge hat, ist vollständig unsinnig und folglich frustrierend. Natürlich kennt jeder Mensch Glücksmomente, die er gerne festhalten möchte, ja geradezu einfrieren möchte. Aber bei genauerem Hinsehen ist dieser Glücksmoment genau deswegen beglückend, weil er nur einen Moment andauert. Stellen wir uns ein Konzert von Eric Clapton vor, in dem er den wunderbaren Titel „Tears in Heaven“ 20 Mal wiederholen würde. Er könnte sich noch soviel Mühe bei der Interpretation geben, es wäre zwecklos. Spätestens nach der vierten Wiederholung würde das Glücksgefühl, das die Fans noch beim ersten Mal zu Recht empfunden haben, einem sehr unangenehmen Gefühl von Genervtheit weichen. Genau so wenig kann ich wochenlang in die Niagarafälle hineinstarren, ohne dass dies zu regelrechten Schmerzen führen würde. Sogar das Herzklopfen eines Verliebten ist deswegen so erstrebenswert, weil es eine Zustandsveränderung von langsam schlagendem Herzen zu einem rasenden Herzen ist. Um diese so beglückende Zustandsveränderung immer wieder empfinden zu können, muss sich das Herz auch zwischendurch mal beruhigen dürfen. Dieses Herzklopfen ist zudem das Ergebnis einer Spannung und Unsicherheit, die im Moment der Erkenntnis, dass der Geliebte das gleiche empfindet, sich in eine sehr wohltuende Erleichterung als Glück äußert. Aber dieses Glück benötigte die vorherige Ungewissheit, also die reale Möglichkeit der Enttäuschung. Wer also im Himmel sich dieses Herzklopfen als ewigen Zustand herbeisehnt, nimmt entweder das Risiko der Enttäuschung in Kauf, womit, sollte die Enttäuschung eintreten, er den Himmel wohl verfluchen wird, oder lügt sich in die Tasche, weil der den Ursprung dieses Glücksgefühl nicht wahrhaben will. Im Übrigen kann ich nur an das erinnern, was ich im vorigen Teil in Bezug auf die himmlische Liebe bereits dargelegt habe.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Stillstand ist für den Menschen keineswegs beglückend. Der Mensch ist durch und durch ein von Bewegung geprägtes Wesen. Diese Bewegung drückt sich in seinem Körper aus: der Mensch hat Beine, keine im Boden verwachsene Wurzeln. Diese Bewegung drückt sich im Denken aus: der Mensch denkt immer wieder neue Gedanken, denn immer wiederkehrende Gedanken treiben ihn schlichtweg in den Wahnsinn. Diese Bewegung drückt sich im Fühlen aus: der Mensch empfindet Glück, wenn eine Veränderung zum Besseren stattfindet. Diese Veränderung mag sich in Bezug auf seine eigene Person, oder auf Personen, die er liebt oder mit denen er Mitgefühl entwickelt, beziehen. Wie bereits erwähnt, empfindet der Verliebte in dem Moment das größte Glück, wo die Unsicherheit der Gewissheit weicht, dass auch er geliebt wird. Der Gesundgewordene ist glücklich, weil er vorher krank war. Der Fußballfan ist glücklich, weil das letzte Tor den Sieg seiner Mannschaft bedeutete. Die Eltern freuen sich, weil ihr Kind ein neues Wort gelernt hat. Der Zahnarzt freut sich, weil sein Patient wieder schmerzfrei lachen kann. Der Künstler freut sich, weil sein Publikum sich hinstellt und minutenlang applaudiert. Würde es stundenlang applaudieren, würde sein Glück bestenfalls zu Nachdenklichkeit mutieren. Der Schaffende kann kein Glück empfinden, wenn er nichts schaffen kann. Schaffen heißt verändern, und sei es nur ein weißes Blatt Papier mit einem darauf geschriebenen Satz zu verändern. Der Mensch hat nun die wunderbare Eigenschaft, dass er einerseits Vorfreude auf zu erwartende Glückszustände empfinden und andererseits lange von kurzzeitigen Glücksmomenten dank der Erinnerung zehren kann. Aber die Glücksmomente selber, auf die er sich vorfreut oder von denen er im nachhinein zehren will, haben mit Veränderung zu tun und gründen letztendlich niemals auf Stillstand.
Überhaupt, wie soll die Seele des Menschen, der gerade in seiner Aufgabe im Diesseits sein Glück fand, im Jenseits glücklich sein, wenn eben diese Aufgabe entfällt. Ich vermute, dass sogar katholische Würdenträger es nicht besonders eilig haben, in den Himmel zu kommen, in welchem sie ihrer irdischen Aufgabe beraubt wären. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Dorfpfarrer, der im Diesseits die ihm seitens seiner Pfarrmitglieder entgegenbrachte Achtung im Jenseits verschmerzen müsste, sich dafür einen Ersatz überhaupt vorstellen könnte. Die Schwere dieses Verlustes der irdischen Aufgabe wiegt um so schwerer, je "bedeutender" derlei Aufgabe im Diesseits ist. So wird der Bischof seine Aufgabe möglicherweise mehr vermissen, als der Dorfpfarrer und der Kardinal seine mehr als der Bischof und zu guter Letzt wird es dem Papst am schwersten Fallen, im Himmel nur eine gewöhnliche Seele unter vielen zu sein.
Wenn nun Seelen der Menschen im Himmel ewig glücklich sein sollen, wird dies kaum mit Stillstand, sozusagen dem Einfrieren eines Glückmoments möglich sein. Es sei denn, die Seele habe sowenig mit dem Menschen gemein, dass Letztere sich kaum in ihr wiedererkennen dürfte. Als ich z.B. 30 Jahre alt war, hatte ich eine Frau, die ich auch heute noch habe, und drei Kinder im Alter von einem Jahr bis acht Jahre. Ich war glücklich und hätte vielleicht gerne diesen Zustand verewigt. Aber bei genauerem Nachdenken wäre ich zu der Zeit mit Sicherheit deutlich weniger glücklich gewesen, wenn ich gewusst hätte, dieser Zustand bleibt genauso wie er jetzt ist, und das in alle Ewigkeit. Die Vorstellung, dass die Kinder nicht größer werden würden, die Jüngste nicht würde reden lernen, die Größeren nicht Jugendliche, dann Abiturienten, dann Studenten, sich nie verlieben würden, nie selber Kinder haben würden, usw. hätte dem damals empfundenen Glück mit Sicherheit einen heftigen Abbruch bereitet. Mittlerweile bin ich Großvater und meine Älteste ist Mutter und selber fast 30 Jahre. Und damit mein Enkel größer werden darf, was ich, aber vor allem meiner Tochter und meinem Schwiegersohn von Herzen gönne, muss auch für ihn die Zeit weiterlaufen. Die Vorstellung, dass ich selber jetzt noch 30 Jahre alt wäre, wäre mir unangenehm. Ich bin jetzt gerne ein fünfzigjähriger Opa, lieber als ein dreißigjähriger Opa. Und ich denke, es ist meiner erwachsenen Tochter auch lieber, dass ich „älter“ bin als sie. Würde ich auf meine ewige Jugend bestehen, würde ich meiner Tochter jetzt im Wege stehen, etwas, dass ich nicht wollte. Derjenige, der ewige Jugend als himmlisches Glück betrachtet, schließt sozusagen das Glück, das gerade in diesem Zeitenstrom erst möglich ist, aus.
Partage